Arthur Lourié

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*  14. Mai 1891

†  12. Oktober 1966

von Wolfgang Mende

Essay

Louriés künstlerische Laufbahn war von jähen biographischen, ästhetischen und weltanschaulichen Brüchen durchzogen. Einen die vielen Facetten seines Schaffens übergreifenden Personalstil zu identifizieren erscheint daher kaum möglich, zumal scheinbar völlig konträre Prinzipien in irritierendem zeitlichem Parallelismus auftraten: experimentelle Atonalität neben neoprimitiver Diatonik, spröder Spaltklang neben impressionistischer Koloristik, neusachliche Kunstironisierung neben religiöser Bekenntnismusik. Eine das gesamte Œuvre überspannende Tendenz lässt sich am ehesten in einer Konzentration auf die kleine Form ausmachen, in der ein eng begrenztes Material in kleingliedrigen, häufig taktweisen Wiederholungsstrukturen entfaltet wird. Dramatische Kontraste, drängende Harmonik und klassische motivisch-thematische Entwicklung fehlen weitgehend, stattdessen entsteht vielfach eine innere Dynamik aus der stufenweisen Verdichtung repetierter Satzmodelle. Diese Strukturdramaturgie ermöglicht ein kontemplatives, sich kontinuierlich vertiefendes Hineinhören in die exquisiten Klangideen, die einen wesentlichen Reiz von Louriés Musik ausmachen.

Die beschriebenen Grundzüge von Louriés Kompositionsweise zeigen sich bereits in seinem ersten überlieferten Opus, dem Klavierzyklus Cinq Préludes fragiles op. 1 (1908/10). Die elegischen, in ihrer harmonischen Statik fast depressiv anmutenden Stücke lassen spätromantische Vorbilder wie Sergej Rachmaninov oder den frühen Aleksandr Skrjabin erkennen. Den Anschluss an die zeitgenössische Moderne erschloss sich Lourié zunächst über eine Auseinandersetzung mit Claude Debussy. Die Deux Estampes für Klavier ...